Manöver in Sachsen-Anhalt

In dieser deutschen Geisterstadt verliert die Nato am Ende gegen Putin
Dienstag, 09.04.2024 | 19:14
Wissen, wo jede Kugel steckt und wann wir sterben: Hauptfeldwebel Michel (l.) bei einem Nato-Manöver auf dem Gefechtsübungszentrum Altmark in Sachsen-Anhalt.
Ulf Lüdeke / FOCUS online "Wissen, wo jede Kugel steckt und wann wir sterben": Hauptfeldwebel Michel (l.) bei einem Nato-Manöver auf dem Gefechtsübungszentrum Altmark in Sachsen-Anhalt.
  • FOCUS-online-Reporter (Gardelegen)

Die Bundeswehr übt in einer Stadt ohne Einwohner, aber mit viel Hightech die gefährlichste und komplexeste Art der Kriegsführung – den Häuserkampf. In einem Manöver bei Gardelegen (Sachsen-Anhalt) proben Nato-Verbündete, wie sie Städte von Putin zurückerobern, sollte Russland uns angreifen.

Abgekämpft und müde drückt sich Michel in den Schatten der tonnenschweren Spurträger des Brückenlegepanzers „Leguan“. Die Sonne an diesem Apriltag brennt über der Colbitz-Letzlinger Heide schon fast wie im Hochsommer vom Himmel. Der Hauptfeldwebel und seine drei Kameraden sind sichtlich übermüdet. Seit fünf Tagen üben sie rund um die Uhr im Dauereinsatz die Verteidigung einer eingenommenen Stadt.

Schnöggersburg heißt diese Stadt; und sie ist einzigartig in Deutschland. Obwohl dort 500 neue Gebäude samt Rathaus, Kirche, Supermarkt und Bahnhof stehen, hat sie keinen einzigen Einwohner.

Dafür ist jedes Haus mit zahlreichen Sensoren und Videokameras vernetzt. Egal, wer oder was hier auf wen schießt: Alle Bewegungen im Häuserkampf, den hier gerade drei Nato-Verbände aus Deutschland, Norwegen und Tschechien bei der Übung „Wettiner Schwert“ simulieren, werden im sieben Kilometer entfernten Kontrollraum des Gefechtsübungszentrums Altmark in Echtzeit aufgezeichnet.

Demonstration geeinter Stärke: Verbände aus Deutschland, Norwegen und Tschechien sammeln sich nach einem Nato-Manöver vor der Kulisse der Übungsstadt Schnöggersburg.
Ulf Lüdeke / FOCUS online Demonstration geeinter Stärke: Verbände aus Deutschland, Norwegen und Tschechien sammeln sich nach einem Nato-Manöver vor der Kulisse der Übungsstadt Schnöggersburg.
 
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„Wir wissen, wann wir sterben, wenn du es nicht rechtzeitig zum Sani schaffst“

Scharf wird hier nicht geschossen, nur mit Platzpatronen verschiedenster Kaliber. Doch wer in dieser Geisterstadt mitten im hochmodernen Gefechtsübungszentrum des Heeres bei Gardelegen in Sachsen-Anhalt Krieg übt und virtuell getroffen wird, weiß sofort, wo – und sogar mit welchen Folgen.

„Die Schüsse werden mithilfe von Lasern exakt aufgezeichnet. Jeder Soldat hat neben einer Videokamera auch ein Display am Körper, das dir in Echtzeit meldet, wann und wo du getroffen wurdest. Wir wissen, wo jede Kugel steckt, wie schnell wir zum Sani müssen und wann du bei schweren Treffern stirbst, falls du das nicht schaffst“, sagt der Hauptfeldwebel. „Der Krieg fühlt sich jetzt viel realer an.“

Häuserkampf gilt als die komplexeste und schwierigste Form der Kriegsführung. „Sie ist um ein x-faches komplizierter als alle andere Gefechtsarten“, erklärt Oberst Heiko Diehl, Leiter des Gefechtsübungszentrums, FOCUS online am Rande der Übung.

Oberst Heiko Diehl, Leiter des Gefechtsübungszentrums Altmark und verantwortlich für die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland.
Ulf Lüdeke / FOCUS online Oberst Heiko Diehl, Leiter des Gefechtsübungszentrums Altmark und verantwortlich für die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland.

Das liege vor allem an den vielen Dimensionen einer Stadt mit ihren sehr verschiedenen Gebäuden, verwinkelten Straßenzügen und U-Bahnen, ergänzt Diehl. „Ein Angriff auf eine Stadt ist sehr schwierig und gilt als 'Hohe Schule' der Kriegsführung. Hier besteht nur, wer alle möglichen Gefechtsarten des Heeres bereits beherrscht und weiß, worauf es beim Häuserkampf ankommt", so Diehl, der in Deutschland auch verantwortlich für die Ausbildung ukrainischer Soldaten im Kampf gegen Putins Truppen ist.

500 Häuser stehen in der militärischen Übungsstadt Schnöggersburg auf dem Gefechtsübungszentrum Altmark in Sachsen-Anhalt.
Ulf Lüdeke / FOCUS online 500 Häuser stehen in der militärischen Übungsstadt Schnöggersburg auf dem Gefechtsübungszentrum Altmark in Sachsen-Anhalt.
 

General Krone: „Sind gezwungen, Häuserkampf zu üben“

Putins Krieg gegen die Ukraine ist auch der Grund, warum auf dem 24.000 Hektar großen Areal des Gefechtsübungszentrums Altmark nun erstmals wieder Häuserkampf auf Nato-Ebene trainiert wird. „Es ist das erste Mal seit etlichen Jahren, dass auf Nato-Ebene der Kampf im urbanen Raum im Rahmen eines angenommenen Bündnisfalls nach Artikel 5 des Nato-Vertrags wieder geübt wird. Weil wir dazu gezwungen werden. Besser also, vorbereitet zu sein“, sagt Brigadegeneral Alexander Krone, Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 37 aus dem sächsischen Frankenberg.

Flussüberquerung für Militär in Ukraine großes Hindernis

Die Übung „Wettiner Schwert“ ist eine Teilübung von „Steadfast Defender“ ("Standhafter Verteidiger"), wie die Nato-Übung offiziell heißt. Mit insgesamt 90.000 Soldaten aus allen Nato-Mitgliedsstaaten, die von Januar bis Mai 2024 in Deutschland, Skandinavien und diversen osteuropäischen Staaten üben, gilt sie als die größte Nato-Übung seit Ende des Kalten Krieges im Jahr 1989. Die Bundeswehr stellt mit rund 12.000 Soldatinnen und Soldaten eines der größten Truppenkontingente.

Krone, dessen Einheit seit 2022 Leitbrigade der Nato Response Force (NRF) ist, rückt bei seinen Erläuterungen immer wieder die gestiegene Bedrohung Europas an der Nato-Ostflanke durch den russischen Überfall der Ukraine in den Vordergrund . „Wir haben beim 'Wettiner Schwert' in den vergangenen Wochen immer wieder die Überwindung von Gewässern mit Brückenlegepanzern geübt. Die Lage in der Ukraine zeigt, wie wichtig es ist, das zu beherrschen.“ Das Gleiche gilt für den Häuserkampf, der in der Donbass-Region im Südosten der Ukraine ebenfalls ein großes Problem bei der Rückeroberung besetzter Städte darstellt.

Panzergrenadiere der Bundeswehr ruhen sich nach einem Häuserkampf-Manöver auf dem Gefechtsübungszentrum Altmark aus.
Ulf Lüdeke / FOCUS online Panzergrenadiere der Bundeswehr ruhen sich nach einem Häuserkampf-Manöver auf dem Gefechtsübungszentrum Altmark aus.
 

Kampfpanzer Leopard 2 mimen im Gefecht russische T82

Im Gefechtsübungszentrum Altmark ging es neben dem Trainieren des Häuserkampfes auch um die Koordination zwischen Armeen verschiedener Nationalitäten mit sehr unterschiedlichen geographischen Gegebenheiten. Neben Einheiten einer tschechischen Panzergrenadierbrigade nahmen an der Übung auch Truppenteile eines norwegischen Telemark-Bataillons teil, die der Kampf im flachen Gelände aufgrund der überwiegend bergigen Landschaft im Norden Skandinaviens vor neue Herausforderungen stellte.

Die Manöver im Nato-Verbund von „Steadfast Defender“ dienen sowohl einer Demonstration der eigenen Gefechtsbereitschaft als auch der Abschreckung von potenziellen Aggressoren, erklärte Brigadegeneral Krone.

Der Kommandeur Leitbrigade der NRF, die als schnelle Eingreiftruppe der Nato binnen weniger Tage an jedem Ort der Erde einsatzbereit sein soll, sieht die Manöver allerdings auch als einen Beitrag zur dringend nötigen Neuausrichtung der Bundeswehr. Denn seine Panzergrenadierbrigade ist Teil der 10. Panzerdivision, die bis 2025 unter dem Namen „Division 25“ als erste Division der Bundeswehr voll einsatzfähig für Nato-Aufgaben sein soll.

Soll bald Chef des Kommando Spezial-Kräfte der Bundeswehr werden: Brigadegeneral Alexander Krone, derzeit  Kommandeur der Panzergrenandierbrigade 37 in Sachsen.
Ulf Lüdeke / FOCUS online Soll bald Chef des "Kommando Spezial-Kräfte" der Bundeswehr werden: Brigadegeneral Alexander Krone, derzeit Kommandeur der Panzergrenandierbrigade 37 in Sachsen.
 

Krone soll neuer Kommandeur der KSK-Elitetruppe werden

Beim Manöver in der militärischen Retortenstadt Schnöggersburg unterlagen am Ende die Nato-Truppen dem Feind. Nachdem die russischen T82 den Ort eingenommen hatten, gelang es den „Blauen“ trotz Artillerie-Feuer und Drohnen-Einsatz nicht mehr, das verlorene Terrain zurückzuerobern, in dem sich die „roten“ Truppen verschanzt hatten.

Doch die Panzergrenadierbrigade 37 wird in Zukunft wohl ohne die Leitung des aufstrebenden 53-jährigen Alexander Krone auskommen müssen. Denn wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, soll der Brigadegeneral künftig das „Kommando Spezial-Kräfte“ (KSK) übernehmen. Die in Calw im Schwarzwald stationierte Einheit mit rund 1500 Soldatinnen und Soldaten ist eine Elitetruppe der Bundeswehr, die sich auf Geiselbefreiungen und Kommando-Aktionen hinter feindlichen Linien spezialisiert hat.

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